Unser Leserbrief dazu in DER HANNOVERANER 07/2020

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Leserbrief in der Ausgabe 07/2020  DER HANNOVERANER (ungekürzter Original-Text)

Edelblutzufuhr in der Warmblutzucht

In der Juni Ausgabe des HANNOVERANER werden die Entwicklung und der geschichtliche Verlauf des ehemaligen Hessischen Hauptgestüts Beberbeck ansatzweise beschrieben. Dazu kommt auch ein junger Züchter aus Hessen zu Wort, der in diesem Rückblick ein „Muster“ erkennt, aus dem er Ideen für seine zukünftige Springpferdezucht ableitet. Er zählt einige Hengstnamen auf, die er der Literatur entnommen hat und beschreibt das dann als Leistungszucht. Weitere züchterische Zusammenhänge oder genetische Ableitungen inklusive Zucht-Empfehlungen folgen nicht.

Gern möchte daher ich diesen Bericht aufgreifen, um ihn auf der Basis unserer umfangreichen Erfahrungen in der „Veredelungs-Zucht“ bestmöglich und chronologisch zu aktualisieren, und damit wertvolle Anregungen für die zukünftige und leistungsorientierte Zucht von Springpferden geben.

 

Trakehnen und Beberbeck als Vorreiter in der Leistungszucht

Um die Jahrhundertwende vom 18. in das 19. Jahrhundert war die Zeit diverser militärischer Aufrüstungen und sich anbahnender kriegerischer Ereignisse in Europa, allen voran in Frankreich und im Preussischen Reich. Folglich wurden schnelle, wendige, zähe, charakterfeste und ausdauernde Kavalleriepferde für den kriegerischen Einsatz gebraucht. So begann man zunächst im Ostpreussischen Trakehnen und später auch in Hessen mit einer strukturierten Leistungszucht von modernen Militärpferden. In Frankreich baute Napoleon die ersten Nationalgestüte. Dazu bediente man sich ab dem frühen 19. Jahrhundert arabischer und englischer Vollblüter zur Veredelung der angestammten heimischen Kaltblut-Rassen. Es entstanden die neue und heute älteste Warmblutrasse, die Trakehner, sowie die Anglo Normannen und die Beberbecker Pferde. Die verbindende Idee darin war die organisierte und somit skalierbare Veredelung als Voraussetzung für die Zucht und die Bereitstellung möglichst zahlreicher Leistungspferde für den militä-rischen Einsatz.

Unterstützt wurden die Zuchtgestüte in Ostpreussen und in Hessen durch die damals „Innovativen Asylsuchenden“ aus Frankreich, die Hugenotten, welche damals bereits zahlreich u.a. aus den dortigen Pferdezuchtgebieten unter dem Druck der katholischen Kirche in Frankreich u.a. nach Preussen flohen und aufgrund ihres hohen Wissenstandes gern dort aufgenommen wurden. Diese Flüchtlinge entstammten überwiegend der bürgerlichen Oberschicht oder dem Adel. Es entstanden ausgewiesene Hugenotten-Ansiedlungen u.a. in Preussen und in Hessen-Kassel, so auch in den Umgebungen von Trakehnen und Beberbeck bei Hofgeismar.

Während sich die Trakehner und auch die Anglo Normannen, Vorläufer der Selle Francais,  bis in die heutige Zeit weiterentwickeln und ihren Platz unter den neuzeitlichen Warmblut-Sportpferderassen sichern konnten, gerieten die Beberbecker Pferde in Vergessenheit und starben aus. Heutige Bestrebungen zur Rückzüchtung der Beberbecker Rasse erscheinen dem versierten Pferdekenner als schlichte Liebhaberei und als nicht wirklich nutzbringend, ausser dass man sie möglicherweise später einmal im Tierpark Sababurg bei Beberbeck während eines sonntäglichen Spazierganges und zu Kaffee und Kuchen beim Grasen beobachten kann.

 

Die Goldene Regel in der Veredelung

Mit diesen Glaubensflüchtlingen floss auch sehr viel Wissen um die moderne Pferdezucht und somit auch über den Einsatz von Vollblut, von Frankreich nach Preussen. Anders als in anderen Zuchtgebieten Europas, verfolgte man in Frankreich bereits frühzeitig den nachhaltigen Einsatz von „Edelblut“ auf der Stutenseite, anstatt vorzugsweise oder ausschliesslich über die Hengste. Daraus und aus der Erkenntnis, dass die Stuten mit ca. 75% Anteil einen wesentlich höheren züchterischen Einfluss auf das Fohlen hat als der Hengst.

Um für den weiteren Militär- und Sporteinsatz ein möglichst rahmiges, ausdauerndes und charakterfestes Pferd mit einem sehr guten, ausgeglichenen und tragfähigen Bewegungsablauf zu erhalten, entschied man sich für Anglo Stuten, die man dann mit englischen oder arabischen Vollbluthengsten kreuzte. Diese Zuchtrichtung entwickelte sich zu einem grossen und bis in die heutige Zeit reichenden Erfolg.

Im Laufe der Zeit entstand aus dieser Zuchtweise die explizit Französische Erfolgsregel „Anglo x Vollblut“ auf der Stutenseite. Auf diese wurden dann springvermögende Warmblut-Hengste eingesetzt und so ein temperamentvolles und leistungsstarkes Springpferd gezüchtet, das nachfolgend konsequent und nach demselben Muster für den sportlichen Einsatz weiter veredelt wurde. Beste Beispiele dafür sind z.B. die aktuell in der Springpferdezucht sehr begehrten Gene von MYLORD CARTHAGO, ITOT DU CHATEAU, oder QUICK STAR. Sie alle folgen der Goldenen Regel „Anglo x Vollblut“ und zählen noch heute zum „genetischen Tafelsilber“ Frankreichs und zu den weltweit besten Zuchtlinien. Zahlreiche internationale Erfolgspferde der letzten Jahrzehnte auf den Medaillen-Rängen sowohl bei den Olympischen Spielen wie auch den Weltmeisterschaften, folgen diese Regel. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts entstanden neue Besamungsmethoden, die dann im weiteren Verlauf das Besamungsverhalten der Züchter änderten.

 

Einfluss der künstlichen Besamungen in der Europäischen Pferdzucht

Mit Einführung der künstlichen Befruchtung in der Europäischen Pferdezucht gegen Ende des 20. Jahrhunderts veränderten sich die Zuchtkonzepte in einschneidender Weise. Die Züchter mussten jetzt nicht mehr mit ihren Stuten zum Natursprung der oftmals nahegelegenen Hengste fahren, sondern sie konnten sich die Hengste europaweit aus dem Katalog aussuchen und den Samen schicken lassen. Der Haustierarzt besamte jetzt die Stuten im eigenen Stall mit fast jedem Hengst.

Damit begannen einschneidende Folgen für die Zucht, denn jetzt wurden weitgehend „Mode- und Trend-Hengste“ eingesetzt. Nicht mehr vorwiegend der bestmögliche weil bewährte Hengst wurde ausgewählt, sondern der Hengst, welcher über die Medien aktuell und in aller Munde war, und dessen Fohlen sich daher besser verkaufen liessen, wurden zunehmend ausgewählt. Die Abstammungen der Fohlen erscheinen zwar oft sehr interessant, weil sich die namhaften Hengste wie „aufgereihte Perlen an einer Kette“ präsentieren. In der Folge entwickelten sich „Überpopulationen“ bestimmter Mode-Hengste in den Pedigrees ihrer Nachzucht, verbunden mit drastische Folgen: Der Blutanteil der Fohlen und ihr individueller Bewegungsablauf degeneriert zunehmend, der Bedarf an zusätzlicher Blutzufuhr steigt. Doch leider wird nach wie vor nach den genannten Trend-Prinzipien gezüchtet. Erste Stimmen aus Frankreich fordern bereits eine Quotenregelung für den Einsatz aller Hengste, insbesondere der Fremdblut-Hengste.

 

Unsere Zucht-Strategie

Die Strategie unserer Zucht ist nicht trendig, aber bewährt. Im Wissen um den hohen und nachhaltigen Einfluss des Edelbluts auf der Stutenseite und unseren züchterischen Erfahrungen, führen wir den traditionellen und erfolgreichen französischen Weg konsequent fort:

  • Edelblut-Zufuhr grundsätzlich über die Stutenline, denn nur Stutenblut ist nachhaltig, Hengstblut allein wirkt nur temporär und muss zeitnah nachgeführt werden.
  • Wir züchten vorzugsweise mit Hengsten, die bereits über ihre Mutter-Linie AA / XX / XO und idealerweise mehrfach durch das Blut des legendären Arabischen Vollblüters DENOUSTE geprägt sind, z. B. der in Hannoveraner anerkannte und aus dem WIMKE-Stamm gezogene BALOU STAR (über QUICK STAR / NITHARD) oder MYLORD CARTHAGO, etc. Damit veredeln wir nachhaltig und halten den Leistungsblut-Anteil der Nachzucht konstant hoch. Im Ergebnis präsentieren sich die daraus resultierenden Fohlen mit grossem Chic und schnellen Reflexen.

Ergänzend dazu empfehlen wir auch den Einsatz der Hengste FLIC EN FLAC (AA), Station Kathmann, sowie NATAN DE LA TOUR (AA), Landgestüt Marbach, die ebenfalls das Edelblut des DENOUSTE führen.

  • Eine unserer Stammstuten ist die Stute LAEME DE DRUHLE (AA). Sie war im Springsport bis 1.50m erfolgreich. Bereits als junge Stute gewann sie in Pompadour die Französische Jahrgangs-Vizemeisterschaft des Verbandes der Anglo Araber, und sie vererbt sich sehr erfolgreich und dominant mit ihrer Leistungsstärke und ihrem freundlichem Charakter. Die 9-fach in Ihrem Pedigree wirkenden DENOUSTE-Gene gibt sie stetig an ihre Nachzucht weiter, wie insbesondere durch die starke Hinterhand und die Schnelligkeit der Nachkommen sichtbar wird. Diese besonderen Gene sind auch über die QUICK STAR Mutter STELLA 3-fach im Blut von BALOU STAR verankert.

Aus der LAEME DE DRULHE konnten wir zwei Halbblut-Stuten züchten, LADY DE DRULHE von Lordanos und LA ROSE DE DRULHE von Casiro I, die wir bereits mit BALOU STAR veredelt habe, wie das Beispiel der Rastede-Championess LADY-LOU OLD eindrucksvoll zeigt.

Auch die in Hannover gezogene Mutter von BALOU STAR, QUENADA, ist über ET im Zuchteinsatz, und sie hat zuletzt ein hoch edles Stutfohlen von KAPITOL D’ARGONNE hervorgebracht. Aufgrund ihrer speziellen Edelblutführung (QUICK STAR, DENOUSTE), wurde QUENADA kürzlich auch in das Zuchtbuch I des Holsteiner Verbandes aufgenommen.

Zudem nutzen wir das unsererseits bereits über BALOU STAR veredelte Stutenblut so namhafter Linien wie der USHA VAN’T ROOSAKKER, LINOTTE DE SOHAN, oder LISCALGOT, der Weltmeisterin von 2002.

 

Beispiele unsere Zucht-Erfolge

  • LADY-LOU OLD von BALOU STAR aus der LAEME DE DRULHE (AA)-Linie gewann 6-jährig das 2019 RASTEDE -Landeschampionat mit 4 sek. Vorsprung im Stechen (!) Anfang 2020 platzierte ihr Reiter Hartwig Rohde sie dann bereits 3-mal auf vorderen Rängen S* (1.40m). Die zu vorgenannten 12-fach Gene des DENOUSTE kommen hier voll zur Geltung.
  • Mehrere BALOU STAR-Hengstanwärter aus dieser AA-Linie, darunter der Französische Grand Est Fohlenchampionats-Sieger von Talma, I-CATCHER DE BALOU STAR, Vollbruder zur RASTEDE Championess LADY-LOU OLD, sind im Training. In seinem Pedigree führt auch er 12-fach das Top-Leistungsblut des DENOUSTE.
  • Auch ITOT DE BALOU STAR mit 10/10 Leistungspunkten aus der direkten Mutterlinie des ITOT DU CHATEAU werden wir in diesem Jahr zur Körung vorstellen.

 

Das Ausnahme-Edelblut des DENOUSTE (XO)

  • DENOUSTE war ein wüstengezüchteter Arabischer Vollblut-Hengst, geboren 1921 in Frankreich,der nach nunmehr 100 Jahren noch immer als einer der einflussreichsten Hengste in der arabischen Leistungszucht gilt. Er prägte sowohl die französischen wie auch die russischen Rennlinien massgeblich. So gehören sowohl der französische Rennvererber MANGANATE als auch der russische Endurance Vererber PERSIK zur Hengstlinie des DENOUSTE. Noch heute siegen seine Nachkommen eindrucksvoll bei den Wüsten-Rennen in arabischen Ländern.
  • DENOUSTE’s Nachkomme PERSIK, dominierte Mitte des letzten Jahrhunderts und jahrzehntelang den europäischen Ausdauersport. Und so war 1975 PERSIK der erste Champion der neuen 130-km-Rennstrecke von Florac, Frankreich. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20,8 km/ Stunde benötigte er nur 6:25 Stunden zum Sieg!
  • Die dominierenden Vertreter der DENOUSTE-Linie in der Welt des Springreitens waren Juwelen wie der KESBETH-Sohn NITHART, und KESBETH-Tochter STELLA (Mutter zu QUICK STAR) sowie INSCHALLAH und MATCHO.
  • DENOUSTE selbst beeinflusste die arabische und französische Rennpferdezucht in einzigartiger Weise u.a. durch seine extrem starke Hinterhand, seinen überragenden Galopp, seiner aussergewöhnlichen Ausdauer, Zähigkeit und seiner unvergleichlichen Vorwärtsbewegung. Er ist insbesondere dafür bekannt, dass er seine starken und kurzen Fesseln, sowie seinen „motorischen Antrieb“ an seine Nachkommen vererbt. Sie maximieren den Galopp und die Schnelligkeit, beides entscheidende Voraussetzungen, um ein echter Champion zu werden, wie das Beispiel unserer Rastede Championess LADY-LOU OLD zeigt. Bereits auf der Jährlingskoppel nahm sie aufgrund dieser DENOUSTE-Attribute ihren gleichaltrigen Mitstreitern auf ca. 10 Galoppaden einen Galoppsprung „ab“.

Fazit / Schlussfolgerungen / Empfehlungen:

  • Das Beberbecker Pferd ist Vergangenheit, und so sollte es auch verstanden werden. Alles andere ist Liebhaberei, die auch bezahlt werden muss.
  • Die Goldene Regel der Veredelung gilt nach wie vor.
  • Zwecks Konzentration auf die wirkliche Weiterentwicklung der Springpferderassen und mit Blick auf die steigenden Parcours-Anforderungen, sollten alle Verbände ihre Zuchtkonzepte überdenken und sich auf die nachhaltige weitere Veredelung ihrer Rassen konzentrieren, und dabei die Trend-Zucht wirkungsvoll einschränken. Dazu wäre u.a. eine Begrenzung der Hengsteinsätze, insbesondere der Fremdhengste, sehr sinnvoll. Gemäss den aktuellen Überlegungen in Frankreich, wäre es angemessen, jeden Hengsteinsatz auf ca. 150 Besamungen zu beschränken, um eine möglichst hohe genetische Vielfalt in der Zucht zu erzielen.

    Zudem sollten die zugeführten Stuten nach züchterischen Kriterien ausgewählt werden, um den Hengsten auch eine reelle Chance zur wirkungsvollen Veredelung zu geben.

    Die Stutenlinien müssen mehr in den Vordergrund treten und bei der Zucht an Bedeutung gewinnen.

  • Die Kommerzialisierung einzelner Hengste sollte reguliert werden. Zuchtaspekte müssen mehr in den Vordergrund treten. Auch grosse und namhafte Züchter müssen sich an die Regeln zur Weiterentwicklung der Rasse halten, anstatt vordergründig dem Kommerz zu folgen.
  • Die Linienzucht sollte in allen Verbänden, insbesondere in Holstein, strenger reguliert werden, um die genetische Vielfalt zu fördern, und um die ständige „Zucht im eignen Saft“ zu reduzieren.
  • Der Fremdbluteinsatz der Verbände sollte gefördert aber auf ca. 25% beschränkt werden. Darüber hinausgehende Hengst-Einsätze sollten in einem separaten Zuchtbuch erfasst werden.
  • Zwecks einer wirkungsvollen und nachhaltigen Veredelung sollte der Einsatz von vorzugsweise AA-Blut auf der Stutenseite bewusst gefördert werden.
  • Zur Unterstützung der Blutzufuhr sollte es in allen Verbänden spezielle und beschränkte Veredelungs-Zuchtbücher geben, die Hengste auf XX/XO/AA Basis führen.

 

Udo Oppermann

www.baloustar.com